Suchmenü einblenden

Lexikon > Myeloproliferative Neoplasie



Unter dem Begriff der Myeloproliferativen Neoplasie (MPN, von , gemeint ist das Knochenmark, nicht das Rückenmark, Proliferation von , gemeint ist Zellwachstum und -vermehrung sowie Neoplasie für ‚Neubildung‘) werden eine Reihe von malignen chronischen Bluterkrankungen der myeloischen Reihe zusammengefasst. Der Begriff stammt aus der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2008 und hat seitdem einen genau definierten Bedeutungsinhalt. Im Jahr 2016 wurden die Diagnosekriterien durch die WHO aktualisiert.

Historisches


Im Jahr 1951 schlug der amerikanische Hämatologe William Dameshek vor, eine Gruppe von bösartigen Bluterkrankungen aufgrund verschiedener klinischer Gemeinsamkeiten unter dem Oberbegriff Myeloproliferative Syndrome (MPS) zusammenzufassen.1 Dameshek ordnete die folgenden fünf Erkrankungen unter diesem Begriff ein:

  • Polycythaemia vera (rubra) (PV)
    • Essentielle Thrombozythämie (ET)
    • Osteomyelofibrose/Osteomyelosklerose (OMF oder OMS)
    • Chronische myeloische Leukämie (CML)
    • das akute Di Guglielmo-Syndrom (Erythrämie)

Später wurden allerdings nur noch die ersten vier Erkrankungen unter diesem Begriff zusammengefasst. Das Di Guglielmo-Syndrom (der Begriff ist heute nicht mehr in Gebrauch) wurde dagegen den akuten myeloischen Leukämien (AML) zugeordnet (AML FAB M6).
Allen vier Erkrankungen ist gemeinsam, dass sie auf einer bösartigen Entartung von blutbildenden Zellen der myeloischen Reihe beruhen, die zu einer verstärkten Proliferation (einem verstärkten Wachstum) der betreffenden Zellreihe führen. Beispielsweise kommt es bei der Polycythaemia vera zu einer verstärkten und unkontrollierten Neubildung von roten Blutzellen, bei der essentiellen Thrombozythämie kommt es zur verstärkten Bildung von Thrombozyten, wodurch in beiden Fällen Krankheitssymptome resultieren. Typisch ist außer den Blutveränderungen häufig eine Splenomegalie (Vergrößerung der Milz) und häufig auch eine Hepatomegalie (Vergrößerung der Leber). Alle vier Erkrankungen tragen das Risiko eines Übergehens in eine akute myeloische Leukämie (bzw. „Blastenkrise“) in sich, allerdings mit deutlich unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Bei der Osteomyelofibrose liegt außerdem ein ausgeprägter bindegewebiger Umbau (Fibrose) des Knochenmarks vor.
Im Laufe der Jahrzehnte ließen sich die oben genannten Erkrankungen immer besser klinisch diagnostizieren und von anderen Erkrankungen abgrenzen, so dass schließlich nicht mehr von Myeloproliferativen Syndromen (= Symptomkomplexen), sondern von (chronischen) Myeloproliferativen Erkrankungen (CMPE/MPE oder CMPD/MPD, myeloproliferative disease) gesprochen wurde. Weitere Erkrankungen wurden unter diesen Oberbegriff aufgenommen (siehe die Auflistung unten). Seit der Veröffentlichung der Klassifikation der hämatologischen Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2008 ist der Begriff Myeloproliferative Neoplasie (MPN) in offiziellem Gebrauch. Der Begriff Syndrom sollte in diesem Zusammenhang nicht mehr gebraucht werden, da er veraltet ist.

Die Gruppe der Myeloproliferativen Neoplasien


Zu den MPN im Sinne der WHO-Klassifikation 2016 zählen:2

  • Chronische myeloische Leukämie (CML), BCR-ABL-positiv
    • Polycythaemia vera (PV)
    • Essentielle Thrombozythämie (ET)
    • Primäre Myelofibrose (Osteomyelofibrose/-sklerose) (PMF, OMF, OMS)
  • PMF im präfibrotischen frühen Station
  • PMF im postfibrotischen Station
    • Chronische Neutrophilenleukämie (CNL)
    • Chronische Eosinophilenleukämie (CEL), nicht anderweitig spezifiziert (NOS = not otherwise specified)der Zusatz „NOS“ nimmt Bezug darauf, dass es auch andere Eosinophilenerkrankungen mit spezifischen genetischen Veränderungen gibt (PDGFRA, PDGFRB, FGFR1, PCM1-JAK2, siehe untenstehende Tabelle), diese sind hier ausgeschlossen
    • Hypereosinophiles Syndrom (HES)
    • unklassifizierbare Myeloproliferative Neoplasien
Anmerkungen


Die wesentlichen Änderungen im Vergleich zur WHO-Klassifikation 2008 sind die Unterscheidung eines frühen, „präfibrotischen“ Stadiums von einem späten, „postfibrotischen“ Stadium mit Knochenmarkfibrose bei der Primären Myelofibrose, sowie die Herausnahme der Mastozytose aus der Gruppe der MPN. Die Mastozytose bildet künftig eine eigene Entität.

Abgrenzung zu anderen myeloischen Erkrankungen


Die Abgrenzung der MPN zur akuten myeloischen Leukämie (AML) ist einigermaßen arbiträr: ab einem Blastenanteil von 20 % im Knochenmark liegt definitionsgemäß eine AML vor. Die Abgrenzung zu den Myelodysplastischen Syndromen (MDS) ist manchmal schwierig und es gibt fließende Übergänge. Grundkennzeichen der MDS ist die Ausreifungsstörung der Blutbildung im Knochenmark, die zu einer Zytopenie (Anämie, Thrombopenie, Leukopenie) in peripheren Blut führt. Bei den Myeloproliferationen steht dagegen die Proliferation mindestens einer Zellreihe (Myelopoese, Erythropoese, Thrombopoese) auch im peripheren Blut im Vordergrund.

Typische genetische Veränderungen bei Myeloproliferativen Erkrankungen


Häufig sind die MPN durch aktivierende Mutationen in Tyrosinkinase-Genen (ABL, JAK2, FGFR1) charakterisiert und können dann zum Teil mit spezifischen Tyrosinkinaseinhibitoren behandelt werden.2

ErkrankungGen-Alterationen
CMLBCR-ABL, sehr selten BCR-JAK2, BCR-FGFR1
PVJAK2 V617F, oder (selten) JAK2-Exon 12-Mutationen
ETJAK2 V617F, Calreticulin (CALR) Exon 9-Mutationen, MPL-Mutationen, seltener anderemehrere Dutzend andere Gene wurden bei MPN (aber auch bei anderen myeloischen Neoplasien) mutiert gefunden. Dazu zählen z. B. ASXL1, TET2, SRSF2, SF3B1, RUNX1, …
PMFJAK2 V617F, Calreticulin Exon 9-Mutationen, MPL-Mutationen, seltener andere
CNLCSF3R-Mutationen
CELheterogen, nicht genau bekannt
MPN, NOSheterogen, nicht genau bekannt


Bemerkungen


Die WHO-Klassifikation von 2001, 2008 und 2016 im Vergleich


Die folgende Tabelle stellt die Klassifikation der chronischen myeloischen Erkrankungen in den WHO-Klassifikationen aus den Jahren 2001, 2008 und 2016 gegenüber.
[Error: Could not resolve this table]
Erläuterungen

Bei der Neuformulierung der WHO-Klassifikation von 2008 wurde bewusst nicht der alte Name myeloproliferative Syndrome oder myeloproliferative Erkrankungen gewählt. Einerseits geschah dies, um keine Verwechslungen mit den alten Bedeutungen dieser Begriffe aufkommen zu lassen, andererseits sollte klarer werden, dass es sich bei den so benannten Erkrankungen nicht um "Syndrome" (Symptomkomplexe) im engeren Sinne, sondern um relativ gut definierte maligne Erkrankungen (Neoplasien) handelt.
Manchmal werden alle Erkrankungen, die keine CML sind, unter dem Begriff „Philadelphia-Chromosom-negative MPN“ zusammengefasst.

Literatur


  • S. H. Swerdlow, E. Campo, N. L. Harris, E. S. Jaffe, S. A. Pileri, H. Stein, J. Thiele, J. W. Vardiman (Hrsg.): WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues. 4. Auflage. IARC Press, Lyon 2008, ISBN 978-92-832-2431-0. (die WHO-Klassifikation von 2008)
  • E. Jaffe, N. L. Harris, H. Stein, J. W. Vardiman (Hrsg.): Pathology and Genetics of Tumours of Haemopoietic and Lymphoid Tissues. IARC Press, Lyon 2001. (die WHO-Klassifikation von 2001)
  • A. M. Vanucchi, P. Guglielmelli, A. Tefferi: Advances in Understanding and Management of Myeloproliferative Neoplasms. In: CA Cancer J Clin. 2009; Vol 59, Number 3. PMID 19369682
  • A. Tefferi, J. W. Vardiman: Classification and diagnosis of myeloproliferative neoplasms: the 2008 World Health Organization criteria and point-of-care diagnostic algorithms. In: Leukemia. 2008;22, S. 14–22. PMID 17882280. (Übersichtsartikel zur WHO-Klassifikation 2008)
  • W. Dameshek: Some speculations on the myeloproliferative syndromes. In: Blood. 1951; 6, S. 372–375. PMID 14820991 [http://bloodjournal.hematologylibrary.org/cgi/reprint/6/4/372 Volltext] (Historischer Artikel, Begriffsprägung "Myeloproliferative Syndrome")


Weblinks


  • [http://www.onkologie2010.de/haemoblastosen/myeloproliferativ/index.htm Onkologie 2010: MYELOPROLIFERATIVE NEOPLASIEN]
  • [http://www.mpn-netzwerk.de/ mpn-netzwerk e. V.] (Selbsthilfegruppe)
  • Kompetenznetz Akute und chronische Leukämien: [http://www.kompetenznetz-leukaemie.de/content/patienten/leukaemien/mpn/index_ger.html Myeloproliferative Neoplasien (MPN)]


Einzelnachweise


1 W. Dameshek: Some speculations on the myeloproliferative syndromes. In: Blood. 1951; 6, S. 372–375. PMID 14820991 http://bloodjournal.hematologylibrary.org/cgi/reprint/6/4/372 Volltext
2 Arber DA, Orazi A, Hasserjian R, Thiele J, Borowitz MJ, Le Beau MM, Bloomfield CD, Cazzola M, Vardiman JW: The 2016 revision to the World Health Organization classification of myeloid neoplasms and acute leukemia. Blood. 2016;127(20):2391-405. PMID 27069254.


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Myeloproliferative_Neoplasie

Zurück zu allen Lexikon-Einträgen


Sie sind hier: LiteraturLexikon

Weitere bestNET.Portale

powered by T3consult
Datenschutz-Erklärung