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Geschichten aus dem Leben > Liebe in Zeiten von Corona


„Wenn das noch lange so weiter geht, rufe ich die Polizei!
„Dann pass nur auf, dass du am Ende nicht die Dumme bist!“
Diskussionen wie diese habe ich in letzter Zeit öfter mit meinem Mann. Die Nachbarn in der Wohnung über uns streiten teilweise so laut, dass ich nicht weiß, ob ich das Geschrei ignorieren oder Hilfe holen soll. Mein Mann hat da die Ruhe weg, für ihn ist das nur ein ganz normaler Ehestreit.
„Misch dich nicht ein! So was kommt in den besten Familien vor.“
Das hätte er dann besser nicht zu mir gesagt, denn anschließend hatten wir selbst Zoff.
„Machst du Witze? Für häusliche Gewalt gibt es keine Entschuldigung!“
„Mach doch nicht immer so ein Drama aus allem! Die streiten bloß.“

Zum Glück haben wir uns nach einer kurzen Debatte wieder beruhigt. Mein Mann meint es nicht böse, aber wenn ich so etwas höre, brennen bei mir alle Sicherungen durch. Das erinnert mich an meine Kindheit, die „gsunde Watschn“ hat damals zu meinem Alltag gehört. Wenn ich als Kind nicht „pariert“ habe, habe ich von meinem Stiefvater Ohrfeigen bekommen und auch meinen Geschwistern ist es nicht besser ergangen. Deshalb bin ich auch heute noch sehr sensibel, wenn es um das Thema häusliche Gewalt geht. Vor allem, wenn Kinder betroffen sind. Aber natürlich weiß ich, dass man das nicht einseitig sehen darf, in manchen Familien ist es genau umgekehrt und die Frau schlägt zu. Alles schon da gewesen. Gewalt ist vollkommen unabhängig von Bildung und sozialer Schicht und kann überall vorkommen. Auch dort, wo man vielleicht am wenigsten damit rechnen würde.
Deshalb höre ich auch immer ganz genau hin, wenn es über uns mal wieder laut ist. Ich finde, dass die Gesellschaft die Aufgabe hat, wachsam zu sein. Besser einmal zu oft Hilfe gerufen, als einmal zu wenig. Wenn nämlich etwas passiert, sind die Leute in der näheren Umgebung immer alle total bestürzt, aber geholfen hat auch niemand. Das möchte ich mir auf keinen Fall vorwerfen müssen, deshalb bleibe ich lieber aufmerksam.

Bei uns hat sich die Sache nach einigen Tagen zum Glück wieder beruhigt, mittlerweile hört man kaum noch etwas aus der Wohnung über uns. Die Wände in unserer Wohnhausanlage sind ja dünn wie Papier, da bleibt kaum etwas verborgen. Aber offensichtlich ist jetzt wieder Friede eingekehrt, letztens habe ich die beiden sogar ein paar Mal miteinander lachen gehört. Da war ich wirklich erleichtert, ich hatte mir schon überlegt, meine Nachbarin mal direkt anzusprechen und sie zu fragen, ob sie Hilfe braucht. Auch wenn mein Mann sicher wieder gesagt hätte, dass ich übertreibe.
„Wahrscheinlich gehen sie sich gegenseitig bloß auf die Nerven. Ist ja auch kein Wunder, wenn man während dieser saublöden Corona-Krise wochenlang Tag für Tag aufeinander hocken muss.“
Ganz Unrecht hatte er wohl nicht. Jedenfalls war ich froh, dass Friede eingekehrt ist und ich mich wieder auf andere Dinge als nächtliche Streitigkeiten und lautes Türenknallen konzentrieren konnte. Auf unsere eigenen Probleme zum Beispiel, denn die nächste Hiobsbotschaft hat nicht lange auf sich warten lassen.

„Unsere Hochzeit ist abgesagt“, hat meine Tochter am Telefon unter Tränen erzählt. Sie und ihr Freund hätten heuer heiraten wollen, aber durch die weltweite Pandemie ist jetzt natürlich alles anders gekommen. Alle Hochzeitsvorbereitungen mussten auf Eis gelegt werden und auch, wenn die Heirat natürlich nicht endgültig „abgesagt“, sondern nur auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, war die Enttäuschung groß. Da habe ich wirklich Mitleid mit dem jungen Paar, schließlich weiß ich genau, wie lange sie alles geplant und sich darauf gefreut haben. Leider will meine Tochter auf jeden Fall eine „Frühlingshochzeit“ haben, wenn sie jetzt dabei bleibt, muss sie wohl bis 2021 warten.
„Ist vielleicht besser so. Dann können sie noch mal drüber nachdenken.“
Manchmal geht mir mein Mann mit solchen Sätzen echt auf die Nerven.
„Was soll denn das jetzt heißen?“ So eine Reaktion kann ich wirklich nicht nachvollziehen. Aber leider sind auch meine Nerven in letzter Zeit nicht die besten, wenn ich nicht aufpasse, fliegen bei uns auch noch die Fetzen. Da muss ich mich dann gar nicht über die Nachbarn oberhalb beschweren.

Aber wie immer hat mein Göttergatte natürlich auch diesmal keine vernünftige Antwort parat. Nachdem er diesen blöden Spruch abgelassen hat, verkreicht er sich gleich wieder hinter seiner Zeitung. Manchmal könnte ich ihm wirklich den Kragen umdrehen. Aber vielleicht gehört das dazu, wenn man schon so lange verheiratet ist? Wir haben uns jung kennen gelernt und früh geheiratet, wenn man sich schon so lange kennt, bleibt die Romantik schon mal auf der Strecke. Allerdings leider auch das Verständnis füreinander und das Interesse an dem, was der andere eigentlich wirklich sagen will.
„Gibt’s wenigstens bei euch was Gutes zu berichten?“ Als ich letztens mit einer Freundin telefoniert habe, war ich ganz begierig auf positive Neuigkeiten. Überall nur Stress, Streit und Frust, an manchen Tagen wird mir wirklich alles zu viel. Dabei bin ich eigentlich ein zuversichtlicher Mensch. Aber in Zeiten von Corona merke ich, wie sehr mich die ganzen Einschränkungen belasten. Zum Glück gab es dann aber wenigstens bei meiner Freundin gute Nachrichten.

„Stell dir vor, ich werde bald Oma!“
„Gratuliere! Das ist ja wirklich mal eine schöne Nachricht.“
Ganz so rosig läuft es aber auch in dieser Familie nicht. Meine Freundin hat mir erzählt, dass ihre Schwiegertochter große Angst vor der Zukunft hat. Scheinbar macht sie sich Sorgen, dass noch mal so eine weltweite Quarantäne auf uns zukommen könnte.
„Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand!“
Irgendwann muss diese Sache mit COVID19 ja auch mal ein Ende haben. Ich will einfach nicht glauben, dass wir gleich von einer Krise in die nächste schlittern.
„Du wirst sehen, alles wird gut.“
Erstaunlicherweise hat hier sogar mein Mann ein paar tröstende Worte parat gehabt, als ich ihm von dem Telefonat mit meiner Freundin erzählt habe. In solchen Momenten bin ich dann froh, verheiratet zu sein. Gerade jetzt ist Familie so wichtig. Ich mag gar nicht darüber nachdenken, wie es wäre, allein zu sein. Zum Glück fallen mein Mann und ich altersmäßig noch nicht in die Risikogruppe und wir können unsere Tochter zumindest ab und zu mal kurz sehen, aber selbst wenn es so wäre, wäre ich schon froh, überhaupt Familie zu haben, auch wenn derzeit Abstand halten angesagt ist. Menschen, die keinen Partner und auch sonst keine Angehörigen haben, haben es jetzt schwer. Zumindest stelle ich mir das so vor. Wahrscheinlich mache ich mir aber schon wieder viel zu viele Sorgen um andere. Immerhin gibt es ja sicher auch Leute, die froh sind, wenn sie allein sind und ihre heilige Ruhe haben. Ehe, Partnerschaft und Familie müssen ja nicht für jedermann das Maß aller Dinge sein.

Würde mich interessieren, wie das Paare machen, die eine Fernbeziehung führen. Fällt einem das Einhalten der Distanz weniger schwer, wenn man es gewohnt ist? Oder ist das ein Trugschluss? Sehnt man sich gerade dann nach Nähe, wenn sie nicht möglich ist?
Wenn ein Partner im Ausland lebt, ist das jedenfalls sicher noch mal eine ganz eigene Herausforderung. Da können den Leuten auch die Einreisebestimmungen einen Strich durch die Rechnung machen.
„Worüber du schon wieder nachdenkst. Das kann dir doch egal sein!“
Wie immer kann mein Mann mit meinen Überlegungen wenig anfangen. Vielleicht hat er auch Recht, wahrscheinlich mache ich mir zu viele Gedanken um Leute, die ich gar nicht kenne. Aber so bin ich nun mal, Beziehungen haben mich immer schon interessiert. Nicht aus Neugier, sondern deshalb, weil mir andere Menschen wichtig sind. Deshalb habe ich auch bei einigen meiner Freunde und Bekannten den Eindruck, dass ihre Beziehung am derzeitigen Ausnahmezustand zerbrechen könnte. Ich bin sicher, es gibt etliche Paare, die erst jetzt so richtig bemerken, dass sie schon lange nichts mehr gemeinsam haben. Da ist die Trennung oder Scheidung wohl nur noch eine Frage der Zeit. Bleibt zu hoffen, dass die Betroffenen sich wenigstens einvernehmlich scheiden lassen, so ein Rosenkrieg ist ja das Schlimmste. Manche Leute machen sich da echt die Hölle auf Erden. Und auch hier leiden natürlich die Kinder am meisten.

Andererseits kann gerade so eine Krise eine Beziehung auch stark machen. Da weiß man dann wieder, was man aneinander hat und streitet nicht wegen jeder unnützen Kleinigkeit. Ich glaube, manche genießen die neue Art der Zweisamkeit sogar. Endlich haben sie mal Zeit füreinander und sind nicht immer durch alles Mögliche abgelenkt. So kann man sich bewusst Auszeiten verschaffen und Zeit mit dem Partner verbringen, die man sonst nicht hätte.
Letztens habe ich sogar irgendwo im Internet gelesen, dass das Sehen des Lebenspartners zu den notwendigen Grundbedürfnissen zählt. Damit waren all diejenigen gemeint, die in einer Beziehung sind, aber nicht zusammen wohnen. Diese Personengruppe soll natürlich auch nicht wochenlang getrennt sein. Trotzdem wurde aber empfohlen, die Zusammenkünfte nicht zu übertreiben. Vor allem dann, wenn ein Partner zu einer Risikogruppe gehört. Zum Glück gibt es wenigstens elektronische Hilfsmittel, da ist es nicht ganz so schlimm und man kann sich zwar nicht in den Arm nehmen, aber trotzdem sehen und hören.
Jedenfalls bin ich froh, wenn der ganze Spuk ein Ende hat. Dann können mein Mann und ich auch mal wieder getrennte Wege gehen. Das wird unserer Beziehung sicher guttun.



* Die Personen und die Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Spezielle Schreibweisen (Fachbegriffe, Gender-Bezeichnungen usw.) wurden in der von der Autorin übermittelten Form übernommen.

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