„Und, wie geht`s dir? Fällt dir auch schon die Decke auf den Kopf?“
Das ist wohl einer der Sätze, die ich in letzter Zeit am häufigsten gehört habe. Seit Mitte März sitze ich wie, viele andere Leute auch, zu Hause in meinem neu eingerichteten Homeoffice und ich muss sagen, ich tue mir schwer damit. Anfangs dachte ich noch, dass es schon gehen wird, mal ein wenig Abwechslung von der täglichen Routine, ein bisschen Abstand von den Kollegen und vielleicht auch etwas weniger Stress, aber inzwischen wünsche ich mir nur noch, dass alles wieder ist wie vorher. Das einzig Gute daran ist, dass ich mir auch einiges an Fahrzeit spare, die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder auch mit dem Auto hat mich früher manchmal so genervt, dass ich am liebsten gleich wieder umgedreht wäre. Jeden Morgen entweder Geschiebe und Gedränge in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder Stau auf den Straßen, wenn ich dann endlich halbwegs pünktlich im Büro angekommen bin, war ich fertig mit den Nerven. Da habe ich dann gleich wieder vom Wochenende und dem nächsten Urlaub geträumt.
Zu Beginn war die Umstellung daher ganz ok und auch jetzt bemühe ich mich, rechtzeitig aufzustehen und mich nicht halb verschlafen im Pyjama vor den Computer zu setzen. Ein bisschen länger schlafen kann ich natürlich schon, die tägliche Fahrtzeit fällt ja weg. Aber sobald der Wecker klingelt, gehe ich unter die Dusche, ziehe mich an und mache mir eine Tasse Kaffee. Das ist total wichtig für mich, sonst hätte ich das Gefühl, zu Hause total zu versacken. Wenn der Tag so überhaupt keine Struktur mehr hat, sitzt man am Ende nur noch vor dem Fernseher. Abgesehen davon, dass ich für meine Arbeit natürlich bezahlt werde. Ich arbeite als Buchhalterin, das ist ein Job, der zum Glück auch derzeit gebraucht wird. Ob ich das nun um zwei Uhr morgens oder um acht Uhr abends tue, ist letztendlich egal. Die Arbeit muss insgesamt erledigt werden, im Übrigen kontrolliert das niemand.
Das klingt vielleicht zunächst mal gut und nach sehr viel Freiheit, aber ich bin schon nach kurzer Zeit drauf gekommen, dass man erst mal lernen muss, mit dem neu gewonnenen Freiraum umzugehen. Und jetzt, wo die Quarantäne doch schon einige Zeit dauert, muss ich mich echt anstrengen, morgens aus dem Bett zu kommen und den Tag zu beginnen. Irgendwie fehlt mir langsam echt die Motivation und auch, wenn im Büro nicht immer alles rosig war, sehne ich mich doch nach meinem alten Leben zurück. Tag für Tag schreibe ich nur irgendwelche Zahlen in den Computer hinein, das kann sich ohne Austausch mit den Kollegen auf Dauer schon ganz schön einsam anfühlen. Deshalb versuche ich, mich am Riemen zu reißen und mir die Woche gut einzuteilen. Von Montag bis Freitag setze ich mich daher gegen neun Uhr an den Laptop, checke erst mal meine Emails und versuche dann, mich so gut wie möglich zu konzentrieren und mich nicht durch alle möglichen anderen Sachen ablenken zu lassen. Alleine zu Hause finde ich das schwieriger, als im Büro. Trotzdem bin ich natürlich froh, dass ich arbeiten kann und deshalb versuche ich auch, dankbar für alles zu sein, was ich habe.
Trotzdem beschäftigt mich meine Einsamkeit. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, mal eine Zeitlang allein zu sein, aber da keiner weiß, wie lange dieser Zustand dauern wird, habe ich schon Angst, zu Hause zu versauern. Natürlich habe ich übers Internet Kontakt zu meinen Arbeitskollegen und ab und zu ist auch mal ein Telefonat mit einem Kunden fällig. Und abends telefoniere ich häufig mit meinen Eltern oder mit Freunden. Aber diese Quarantäne zehrt schon an meinen Nerven. Leider habe ich nicht mal einen Balkon, somit bleibt mir nur der Blick aus dem Fenster oder mal ein kurzer Spaziergang. Lange Ausflüge unternehme ich derzeit nicht, das wäre mir echt zu gefährlich und ich denke, es ist auch nicht der Sinn der Sache, stundenlang in der Gegend rum zu rennen. Zum Glück sind die meisten Leute ohnehin sehr verständig und tun ihr Bestes, um sich und andere nicht in Gefahr zu bringen. Vor ein paar Tagen habe ich mir noch überlegt, nach Hause aufs Land zu meinen Eltern zu fahren, schließlich könnte ich auch dort arbeiten, dann würde ich die Einsamkeit sicher weniger spüren. Aber die Angst, die beiden in Gefahr zu bringen, war dann doch zu groß. Immerhin sind meine Eltern um die Siebzig. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie gefährde. Zum Glück haben sie wenigstens ein paar nette Nachbarn, die sich um sie kümmern, aber Sorgen mache ich mir doch. Natürlich kann man telefonieren, Nachrichten schicken und auch mal skypen, aber eine Umarmung mit einem lieben Menschen ersetzt mir das nicht. Wenn ich ehrlich bin, beneide ich meine Eltern auch ein bisschen, immerhin sind sie wenigstens zu Zweit.
Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Beschränkungen so zu schaffen machen, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich muss jetzt unbedingt mit jemandem reden, sonst drehe ich noch durch. Wenigstens geht es meiner besten Freundin Lisa auch nicht besser, sie ist ebenfalls Single und arbeitet derzeit ebenfalls von zu Hause aus. So haben wir wenigstens gegenseitig jemanden, der versteht, wie schwer es sein kann, wenn man Tag für Tag alleine in den eigenen vier Wänden sitzt. Trotzdem weiß ich natürlich, dass andere Menschen es noch sehr viel schwerer haben.
„Sei froh, dass du keine Kinder hast, das muss gerade auch nicht besonders lustig sein“,
hat sie letztens gemeint, als wir telefoniert haben. Und dann hat sie mir erzählt, dass sie einige Leute kennt, die in sehr kleinen Wohnungen leben, Familien mit zwei oder mehr Kindern. Das ist sicher auch nicht gerade witzig, wochenlang mehr oder weniger Tag und Nacht zusammen gepfercht zu sein. Einsam sind diese Leute wohl nicht, wahrscheinlich würde sich manch einer wünschen, mit mir oder Lisa zu tauschen. Aber man kann es sich nun mal nicht aussuchen, jeder muss das Beste aus der Situation machen, etwas anderes bleibt einem ohnehin nicht übrig.
„Aber eine gute Nachricht habe ich auch“, hat Lisa gemeint und dann hat sie mir erzählt, dass in ihrer Wohnhausanlage jeden Samstag um achtzehn Uhr Musik gemacht wird.
„Quer über den Innenhof, die Leute machen die Fenster auf, einer spielt Gitarre, jemand anders Blockflöte und wieder andere singen dazu.“
„Und wie klingt das?“, habe ich sie neugierig gefragt.
„Ein bisschen wie Katzenmusik, aber die meisten nehmen es mit Humor“, hat sie lachend erwidert. Das sollte ich wohl auch tun, immerhin bin ich nach wie vor gesund und ich kenne zum Glück derzeit auch niemanden persönlich, der an COVID 19 erkrankt ist. Obwohl ich es schön finden würde, wenn bei mir auch ein bisschen mehr los wäre, wir sind ein kleines Haus und trotzdem kenne ich kaum einen der Nachbarn.
„Aber die Gesundheit ist das Allerwichtigste“, hat letztens auch meine Mutter gemeint und da hat sie natürlich zu hundert Prozent Recht. „Du wirst sehen, auch das geht vorbei.“ Mama hat bei unserem Telefonat gleich gemerkt, dass ich nicht sonderlich gut drauf war.
„Dann kommst du uns wieder besuchen und wir machen es uns schön miteinander.“
Da sind mir echt die Tränen gekommen, in dem Moment habe ich richtig gemerkt, wie sehr ich die Gesellschaft anderer Menschen vermisse. Ab und zu mal ein Gang in den Supermarkt kann das natürlich nicht ersetzen, dort hält jeder Abstand und das ist ja auch gut so.
Somit versuche ich einfach, mich jeden Tag aufs Neue auf all das zu besinnen, was ich habe und nicht darauf, was ich vermisse. Vielleicht kann ich mich ja auch ehrenamtlich engagieren, ich muss mal im Internet nachschauen, welche Möglichkeiten es da derzeit gibt. Ich bin sicher, es gibt noch viele andere Menschen, die gerade jetzt unter Einsamkeit und Isolation leiden, Menschen, die auch vorher schon nicht viele Kontakte hatten. Leute ohne Angehörige und Freunde, die vielleicht schon seit Jahren alleine leben. Die tun mir wirklich leid, ich bin wenigstens jung und gesund, und ich bin sicher, auch die derzeitige Krise findet irgendwann ein Ende. Aber Menschen, die vielleicht schon älter oder krank sind, für die muss das wirklich furchtbar sein, wenn sie nicht mal mehr in den Park gehen oder Besuch bekommen können. Viele von denen haben vielleicht nicht mal Internet oder ein Smartphone, dann fällt auch das Chatten weg. Daran versuche ich immer zu denken, wenn ich mich so isoliert und eingesperrt fühle.
Eines finde ich aber übrigens wirklich toll an der momentanen Situation:
Ich habe den Eindruck, dass viele Leute auf einmal viel hilfsbereiter werden, die meisten besinnen sich dann doch auf die wesentlichen Dinge im Leben. Somit versuche ich eben auch, weiter durchzuhalten, wasche mir regelmäßig die Hände und halte zumindest einen Meter Abstand zu den wenigen Menschen, denen ich begegne. Es ist schon erstaunlich, wie der Zwang zur Distanz den Zusammenhalt stärken kann. Aber vielleicht ist es genau das, was wir brauchen. Denn ein Gutes hat die Sache schon: Ich habe endlich mal Zeit, ein bisschen in mich zu gehen. Denn trotz aller Isolation und Einsamkeit darf man auch nicht vergessen, dass viele Menschen sich in den letzten Jahren viel zu sehr abgelenkt haben. Das betrifft natürlich nicht alle, aber teilweise wurde ja konsumiert was das Zeug hält und nun hat all das Hetzen für viele von uns ein Ende und wir müssen uns mit dem begnügen, was wir zur Verfügung haben. Deshalb sind vielleicht auch Nächstenliebe, Rücksichtnahme und ein gewisses Maß an Selbstreflexion plötzlich wieder Werte, für die man sich nicht schämen muss. Denn auf einmal sind es nicht mehr nur die „anderen“, die von Krisen und Katastrophen betroffen sind, plötzlich sind wir es selbst und deshalb wird es auch an jedem Einzelnen liegen, was er oder sie daraus macht.
„Der Gedanke, dass es anderen auch nicht besser geht, hilft mir“, hat mir kürzlich eine Bekannte via Telefon anvertraut und ich kann das durchaus nachvollziehen. Immerhin sitzen wir alle im selben Boot, natürlich hat jeder Mensch eigene Herausforderungen zu bewältigen, aber die Sorge um die Gesundheit und das Wohlergehen verbinden doch sehr. Deshalb tun mir auch alle leid, die in Pflegeheimen leben oder Krankenhäusern sein müssen und von den Zugangsbeschränkungen betroffen sind. Ganz zu schweigen von den Frauen, die ein Baby bekommen und auf den Besuch ihrer nahen Angehörigen verzichten müssen.
Vielleicht gibt es aus all diesen Gründen seit Neuestem eine Form von Solidarität, die ich in dieser Form bisher nicht gekannt habe. Früher war sich oft nur jeder selbst der Nächste, nun wird langsam umgedacht und manchmal bin ich echt erstaunt und sogar ein bisschen gerührt, wie menschlich der Mensch sein kann, wenn er nur will. Ich habe das Gefühl, dass teilweise eine neue Achtsamkeit und Zusammengehörigkeit um sich greift, sogar im Supermarkt ums Eck werde ich jetzt freundlich gegrüßt. Früher hat man dort nur meine Einkäufe übers Förderband geschoben und mir dann wortlos den Kassenbon in die Hand gedrückt.
„Diese ganze Entschleunigung kann schon auch etwas Positives an sich haben“, hat Lisa letztens gemeint und obwohl ich wahrscheinlich noch etwas Zeit brauchen werde, um mich an die veränderten Lebensumstände zu gewöhnen, kann ich dem Gedanken etwas abgewinnen.
„Corona schafft Raum für Neubeginn“ habe ich im Internet gelesen und ich denke, da ist schon etwas Wahres dran. Wie auch immer dieser Neubeginn dann auch aussehen wird.
Somit haben auch all diejenigen, die vor lauter Hektik niemals zur Ruhe gekommen sind, jetzt die Chance, die Dinge auch mal anders zu sehen. Da nehme ich mich selbst gar nicht aus. Vielleicht können wir dann ja trotz aller Herausforderungen in ein paar Jahren auf eine Zeit des Innehaltens zurück blicken, die uns wirklich weiter gebracht hat. Ich hoffe es sehr. Und bis dahin heißt es wohl durchhalten und das Beste aus allem machen.